Das WIPIG-Interview mit Dr. Markus Zieglmeier zum Thema "Arzneimittelrisiken bei der Raucherentwöhnung"

Apotheker Dr. Markus Zieglmeier, Delegierter der Bayerischen Landesapothekerkammer, langjähriger, erfahrener Referent und Mitglied im Prüfungs- und Fachausschuss zur Weiterbildung Ernährungsberatung sowie Geriatrischen Pharmazie, referiert im Rahmen einer Online-Fortbildung des WIPIG der Bayerischen Landesapothekerkammer am 19.05.2022 zum Thema „Arzneimittelrisiken bei der Raucherentwöhnung“.

1. Herr Dr. Zieglmeier, im Januar 2021 erschien die aktualisierte S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung”. Was sagen Sie zur aktuellen Leitlinie?

Man muss sich als Apotheker auf die Teile der Leitlinie fokussieren, die sich mit der medikamentösen Unterstützung des Tabakentzugs befassen. Die für uns interessanten Neuerungen betreffen erstens Arzneimittel, die bisher selten abgegeben wurden, beispielsweise Cytisin oder die dafür nicht explizit zugelassenen Substanzen Nortriptylin und Clonidin, die hinsichtlich der Arzneimitteltherapiesicherheit durchaus anspruchsvoll sind.

Zweitens wird der Status von Nikotinersatzpräparaten als First-Line-Therapie betont, was für uns eine gute Nachricht ist. Sie sind die einzigen OTC-Präparate, haben als einzige keine absoluten Kontraindikationen - außer Unverträglichkeit gegen einen der Inhaltsstoffe - und müssen nur in wenigen Fällen wie Schwangerschaft, Stillzeit und fortgeschrittenen Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen ärztlich überwacht werden.

2. Wo liegt die Problematik eines plötzlichen Rauchstopps?

Neben den bekannten Effekten wie Craving und Gewichtszunahme kann es bei Rauchern, die auf bestimmte Arzneimittel eingestellt sind, einige Tage nach der letzten Zigarette zu Überdosierungen kommen. Verbrennungsprodukte induzieren CYP 1A2, das eine Reihe von Arzneistoffen metabolisiert. Raucher brauchen also höhere Dosierungen dieser Arzneimittel. Fällt nach dem Rauchstopp die Enzyminduktion weg, sind die betreffenden Stoffe nach wenigen Tagen überdosiert und der Ex-Raucher ist zusätzlich zu seinen Entzugssymptomen mit einer Zunahme von Arzneimittelnebenwirkungen konfrontiert. Das kann den Patienten und den Erfolg der Raucherentwöhnung gefährden.

3. Von klinischer Relevanz ist dies ja insbesondere bei Arzneistoffen mit geringer therapeutischer Breite. Auf welche Wirkstoffe ist hier besonders zu achten?

Betroffen ist u. a. eine Reihe von Psychopharmaka, z. B. Antidepressiva wie Duloxetin oder Antipsychotika wie Clozapin oder Olanzapin. Hier ist anzumerken, dass Menschen mit psychischen Störungen statistisch häufiger tabakabhängig sind. Davon loszukommen, wird ihnen dann zusätzlich erschwert. Auch Theophyllin, das heute fast nur noch bei COPD-Patienten eingesetzt wird, die mit der inhalativen Therapie nicht zurechtkommen, ist ein CYP 1A2-Substrat mit geringer therapeutischer Breite. Ich habe für das WIPIG eine Tabelle von Arzneistoffen ausgearbeitet, bei denen solche Effekte beschrieben wurden oder wahrscheinlich sind.

4. Bei welchen Arzneimitteln ist die Wirksamkeit bei der Tabakentwöhnung nachgewiesen?

Grundsätzlich bei allen, die in der Leitlinie aufgeführt sind: Nikotinersatzpräparate, Bupropion, Vareniclin, Cytisin, Nortriptylin und Clonidin – allerdings mit unterschiedlich hohem Evidenzgrad und, wie es für Leitlinien typisch ist, daraus resultierend mit unterschiedlich hoher Empfehlungsstärke. Bei der Auswahl der Rx-Alternativen muss der Arzt eine Reihe von Kontraindikationen und anderen Einschränkungen beachten. So ist Bupropion beispielsweise mit einem hohen Risiko von Krampfanfällen belastet und bei entsprechender Anamnese kontraindiziert, Clonidin steht auf der PRISCUS-Liste usw.

5. Ist die Nikotinersatztherapie auch zur Entwöhnung bei Konsum von rauchlosen Tabakprodukten, wie z. B. Kautabak oder Snus, geeignet?

Das wird in der Leitlinie ausdrücklich nicht empfohlen. Während die Wirksamkeit der Nikotinersatztherapie bei der Raucherentwöhnung sehr gut in Studien dokumentiert ist, haben wir bei den rauchlosen Tabakprodukten keine ausreichende Evidenz.

6. In welchen Fällen können wir in der Apotheke ohne ärztliche Begleitung arbeiten, wann sind Hilfesuchende an den Arzt zu verweisen?

Bei allen Kund*innen, die erstmals und rechtzeitig versuchen, von den Zigaretten loszukommen, geht es ohne den Arzt. Also bei allen, die nicht schwanger sind, stillen oder bereits die gesundheitlichen Folgen ihrer Abhängigkeit in Form von unkontrollierter Hypertonie, KHK, Stoffwechselerkrankungen o. ä. zu spüren bekommen. Insbesondere wenn bereits Herzinfarkte, Schlaganfälle oder ähnliche Ereignisse aufgetreten sind, muss die Entwöhnung ärztlich überwacht sein. Ich würde auch jeden Kunden zum Arzt schicken, der den Rauchstopp bereits zum wiederholten Male versucht. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Nikotinersatztherapie nur eine Möglichkeit der medikamentösen Unterstützung darstellt und diese wiederum nur eine Möglichkeit innerhalb einer großen Auswahl von Therapieformen. Jeder mehrfach rückfällige Raucher sollte nicht nur leitliniengerecht behandelt, sondern auch leitliniengerecht und damit sehr differenziert diagnostiziert werden. Und das ist nicht unsere Aufgabe.

Herr Dr. Zieglmeier, wir bedanken uns für dieses Gespräch!

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Xenia Steinbach
Tel.: 089 - 92 62 41, E-Mail: info(at)wipig.de

Marion Resch
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