Das WIPIG-Interview mit Margit Schlenk und Georg Weigl zum Nürnberger Modellprojekt „Pause von Zuhause“
Das WIPIG-Interview mit Frau Schlenk und Herrn Weigl
Für pflegende An- und Zugehörige sind außerhäusliche Termine, z. B. ein Arztbesuch, die Inanspruchnahme einer Pflegeberatung oder eine Verabredung mit Freunden eine große Herausforderung. Gleichzeitig haben Gepflegte oft nur wenige Möglichkeiten dazu, außerhalb der eigenen vier Wände Gemeinschaft zu erleben.
Das Nürnberger Modellprojekt „Pause von Zuhause – Gästeassistenz in öffentlichen Verweilorten“ bietet pflegebedürftigen Menschen, die von Angehörigen betreut werden, zwei sichere, einladende und kostenfreie Begegnungsorte. Ein Team aus freiwilligen Helfern kümmert sich um die Gäste, sodass die Pflegenden Zeit für eigene Termine oder Hobbys haben. Währenddessen können die betreuten Personen einige Stunden in angenehmer Gesellschaft verbringen und Abwechslung erleben.
Im WIPIG-Interview sind Apothekerin Margit Schlenk (Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des WIPIG, Inhaberin der Nürnberger Moritz-Apotheke) und Georg Weigl (Gerontologe M. Sc., Projektleiter, Curatorium Altern gestalten) vertreten.
Herr Weigl, „Pause von Zuhause“ schafft besondere Treffpunkte für Seniorinnen und Senioren und schenkt pflegenden An- und Zugehörigen Momente der Entlastung. Wie kam es dazu, das Projekt ins Leben zu rufen und welche Ziele verfolgt das Projekt?
Weigl: Das Projekt entstand aus der Beobachtung, dass sich viele ältere Menschen zunehmend zurückziehen, oft weil ihre Angehörigen im Alltag stark gefordert sind und kaum Zeit für sich selbst finden. Wir haben festgestellt, dass formelle Pflegeangebote, wie sie bereits existieren, zwar wichtig und unverzichtbar sind, aber es fehlt an niederschwelligen Angeboten, die die Integration von pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen im öffentlichen Raum fördern.
Das Modellprojekt orientiert sich an den Leitzielen 3 und 4 der Bayerischen Demenzstrategie, der „Verbesserung der Lebensbedingungen und der Lebensqualität für die Betroffenen und ihre Angehörigen“ und der „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für Angehörige und Betroffene“.
Unsere Idee war es, Orte zu schaffen, an denen beide Seiten „eine Pause von zu Hause“ finden: Pflegende haben die Möglichkeit, eigene Termine wahrzunehmen oder einfach mal eine Auszeit zu nehmen, während ihre Angehörigen in einem sicheren und gastfreundlichen Umfeld Abwechslung und soziale Kontakte erleben können. Diese Art der Unterstützung im öffentlichen Raum fehlte bisher, und wir wollten eine Lösung bieten, die den Alltag für beide Seiten erleichtert. Das Angebot hat damit einen präventiven Charakter: Es bietet Angehörigen frühe Hilfe und Entlastung an und leistet so einen Beitrag dazu, dass Betroffene länger in ihrem häuslichen Umfeld bleiben können.
„Pause von Zuhause“ lebt vom Engagement des ehrenamtlichen Gästeassistenzteams: Wie bringen sich die Ehrenamtlichen für die Gäste und ihre An- und Zugehörigen ein?
Weigl: Das Projekt wird maßgeblich von dem ehrenamtlichen Gästeteam getragen. Die Ehrenamtlichen werden mit einer Schulung auf ihr Ehrenamt vorbereitet. Die Schulung orientiert sich an der Schulung für Alltagsbegleiter und hat einen Umfang von 30 Unterrichtseinheiten. Sie umfasst Grundlagen zu medizinischen Aspekten demenzieller Erkrankungen, zum Umgang mit Menschen mit Demenz und z. B. auch zu kommunikativen Fähigkeiten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt darauf, wie man die Zeit mit den Gästen gestalten kann. Auch an einem Erste-Hilfe-Kurs nehmen die Ehrenamtlichen teil.
Am Städtischen Treffpunkt im Heilig-Geist-Haus sind meistens drei bis vier Ehrenamtliche im Einsatz, im GALERIA Restaurant zwei Ehrenamtliche, die als Team die Gäste begleiten. Der Ablauf unseres Angebots ist ganz unkompliziert und abwechslungsreich. In der Cafeteria im Heilig Geist beginnen wir meistens mit einem gemütlichen Treffen bei Kaffee und Kuchen. Dabei kommen alle zusammen und es entsteht sofort eine angenehme, lockere Atmosphäre. Danach bilden sich oft kleinere Gruppen, die je nach Interesse unterschiedliche Aktivitäten machen. Manche spielen Gesellschaftsspiele, andere nutzen die Gelegenheit, mit Begleitung einen Spaziergang im Freien zu unternehmen. Hin und wieder bieten wir auch besondere Programmpunkte an, wie zum Beispiel Lachyoga oder ein offenes Kunstatelier, wo die Gäste kreativ werden können.
In der Cafeteria im GALERIA Kaufhaus haben wir einen reservierten langen Tisch. Hier können Angehörige ihre Liebsten gut aufgehoben wissen, während sie in der Stadt Besorgungen erledigen oder einfach eine kleine Auszeit nehmen. Dieses flexible Angebot ermöglicht es den Pflegenden, ihren Alltag etwas zu entlasten, während ihre Angehörigen gut betreut werden und Gesellschaft genießen.
Es ist schön, zu beobachten, dass unsere öffentlichen Verweilorte einen integrativen Charakter haben: Auch alleinstehende Menschen mit und ohne Demenz oder kognitive Einschränkungen nutzen unser Angebot.
Wie geht man als pflegender Angehöriger vor, wenn man das Angebot ausprobieren möchte? Ist eine Anmeldung erforderlich?
Weigl: In Nürnberg gibt es zwei öffentliche Verweilorte. Am Städtischen Treffpunkt im Heilig-Geist-Haus ist das Gästeassistenzteam dienstags und donnerstags zwischen 14 und 17 Uhr im Einsatz, im GALERIA Restaurant dienstags zwischen 13.00 Uhr und 16.00 Uhr. Dies sind die offenen Begleitzeiten, zu denen man auch ohne eine Anmeldung vorbeischauen kann.
Wir empfehlen aber, vor dem ersten Besuch telefonisch oder per E-Mail Kontakt mit mir aufzunehmen. In einem kurzen Gespräch sprechen wir darüber, welche Interessen besonders stark ausgeprägt sind und darüber, was die Ehrenamtlichen beachten sollten. Hier ist beispielweise wichtig, ob eine Begleitung zur Toilettentür erforderlich ist, oder ob es Lebensmittelunverträglichkeiten gibt. Wichtig ist auch der gegenseitige Austausch der Telefonnummer, damit der Kontakt mit den Angehörigen möglich ist. Deswegen ist es vor dem ersten Besuch gewünscht, mit mir ins Gespräch zu kommen. Später kann man auch ohne Anmeldung zu den freien Begleitzeiten kommen.
Angehörige können auch auf mich zukommen, wenn sie eine Begleitung außerhalb der allgemeinen Begleitzeiten anfragen möchten: Wir schauen dann gemeinsam, ob für den gewünschten Zeitraum ein Ehrenamtlicher gefunden werden kann. So ist neben der Gruppen- auch eine Einzelassistenz möglich. Die Organisation dieser buchbaren Begleitungszeiten wird momentan auch online über eine App erprobt.
Frau Schlenk, Herr Weigl hat „Pause von Zuhause“ im von Ihnen moderierten Apotheker-Qualitätszirkel in Nürnberg vorgestellt. Außerdem haben Sie in der Art und Weise kooperiert, dass Sie Pflegende von Menschen mit Demenz in Nürnberg über den Umgang mit Arzneimitteln informiert haben, während ihre An- und Zugehörigen das Angebot „Pause von Zuhause“ nutzen konnten. Wie fielen die Reaktionen auf Ihre gemeinsame Veranstaltungen aus? Planen Sie eine Wiederholung?
Schlenk: Die Reaktionen waren sehr positiv, denn die Vernetzung zwischen den Angeboten der Apotheke in der Arzneimittelversorgung und der Betreuung der Menschen wird hochgeschätzt. Es ist wichtig, dass die Apotheke als Anlaufstelle vor Ort niedrigschwellig und während der Öffnungszeiten ohne Termin erreichbar ist.
Es ist geplant, die wertvolle Kooperation fortzuführen und regelmäßig gemeinsame Veranstaltungen anzubieten.
Die Nürnberger „Demenzfreundlichen Apotheken“ weisen Betroffene und Angehörige unter anderem auf das Angebot von „Pause von Zuhause“ hin, damit Pflegende Entlastung erfahren und den Gepflegten für ein paar Stunden in sicherer Betreuung wissen und z. B. ganz für sich einkaufen gehen können.
Was können Apothekerinnen und Apotheker tun, um pflegende Angehörige bestmöglich zu unterstützen?
Schlenk: Ich empfehle das Schulungsprogramm „Demenzfreundliche Apotheke“, um sich vor Ort mit den Stakeholdern in diesem Thema zu vernetzen. Es lohnt sich, demenzielle Erkrankungen in den Apotheken sichtbar werden zu lassen, beispielsweise mit Schaufenstern: Man kann zum Beispiel ein Fenster gemeinsam mit einer Selbsthilfegruppe gestalten.
In der Moritz-Apotheke bieten wir auch Aktionsstände mit Hilfsmitteln für Menschen mit Demenz an. Im Rahmen unserer Jubiläumswoche wird es auch einen Stand zum Projekt „Digitales Demenzregister Bayern“ (digiDEM) geben. Es werden zwei digiDEM-Vertreterinnen aus Erlangen anreisen und die Menschen zum Thema Demenz ansprechen.
Was können andere Orte von Nürnberg lernen?
Weigl: Andere Städte und Regionen können von Nürnberg lernen, dass es sich lohnt, neue Wege zu gehen, um pflegende Angehörige und Menschen mit Demenz zu unterstützen. „Pause von Zuhause“ ist ein wichtiger Schritt, um das Thema „Demenz“ in unserer Gesellschaft zu enttabuisieren und es als Teil des Alltags anzunehmen.
Darüber hinaus bietet das Nürnberger Pilotprojekt wertvolle Erkenntnisse für andere Städte: Es zeigt auf, wie man eine Gästeassistenz an öffentlichen Orten erfolgreich aufbaut und nachhaltig etabliert. Der geplante Handlungsleitfaden soll dabei helfen, diese Konzepte an verschiedenen Orten zu realisieren und somit noch mehr pflegende Angehörige zu entlasten und Menschen mit Demenz ein erfüllteres Leben zu ermöglichen.
Schlenk: Mit dem Qualitätszirkel „Demenzfreundliche Apotheke“ gibt es eine tolle Initiative vor Ort, die sich dafür engagiert, das Thema „Demenz“ gemeinsam mit der Stadt Nürnberg niedrigstschwellig darzustellen und Hilfen anzubieten.
Wie wichtig sind Netzwerke beim Thema Demenz und Pflege?
Schlenk: Netzwerke sind das A und O für das Agieren im Gesundheitsumfeld. Ohne Netzwerke gibt es keine Gesundheit für den Menschen.
Weigl: Netzwerke sind entscheidend, wenn wir pflegende Angehörige wirklich entlasten wollen. Die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsanbietern, Multiplikatoren und Projekten wie „Pause von Zuhause“ spielt dabei eine zentrale Rolle. Ein Beispiel ist unsere Kooperation mit der Apothekerin Margit Schlenk. Während Frau Schlenk einen Vortrag über „Medikamente bei Demenz“ für pflegende Angehörige hielt, konnten wir uns gleichzeitig um deren Angehörige kümmern. Das zeigt, wie bereichernd eine gute Vernetzung im Bereich Demenz und Pflege sein kann.
Durch solche Kooperationen schaffen wir nicht nur direkte Entlastung, sondern ermöglichen auch, dass pflegende Angehörige parallel zu unserer Betreuung wertvolle Informationen erhalten. Vernetzungen, wie etwa mit dem Seniorenamt, dem Pflegestützpunkt oder der Angehörigenberatung, helfen uns außerdem, im Bedarfsfall gezielt an die passenden Stellen zu vermitteln. So können wir umfassend unterstützen und entlasten.
Wir danken Frau Schlenk und Herrn Weigl herzlichst für das Interview!
Das Interview führte Johanna Pfeiffer.